- Billigkeitsprüfung: Eigener Wohlstand widerspricht nicht dem Anspruch auf Versorgungsausgleich
Der Anspruch auf Versorgungsausgleich setzt nicht voraus, dass man bedürftig ist. Davon war eine Ärztin, die ein Immobilienvermögen geerbt hatte, aus dem sie rund 16.500 EUR im Monat einnahm, und die aus dem Zugewinnausgleich bereits rund 350.000 EUR vom Ehemann bekommen hatte, auch weit entfernt. Dennoch verlangte sie Anteile der Altersversorgung von ihrem Ehemann - die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH).
Das zuständige Oberlandesgericht fand, dass sie angesichts ihrer eigenen auskömmlichen Verhältnisse darauf verzichten müsse, zusätzlich auch noch Anteile der Altersversorgung ihres Ehemanns zu erhalten, der weitaus weniger Vermögen besaß als sie. Sonst bestünde im Ergebnis ein erhebliches wirtschaftliches Ungleichgewicht. Den Zugewinnausgleich, den sie bekommen habe, habe allein der Mann erarbeitet. Der Mann sei auf seine Altersvorsorge angewiesen.
Diese Wertung trug der BGH jedoch nicht mit. Zwar sind Fälle einer groben Unbilligkeit nach Gesamtabwägung der wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten denkbar - sie bleiben jedoch die Ausnahme. Dafür müsste nicht nur der insgesamt ausgleichsberechtigte Ehegatte über so hohes Einkommen oder Vermögen verfügen, dass seine Altersversorgung voll abgesichert ist (so wie hier). Zum anderen müsse der insgesamt ausgleichspflichtige Ehegatte auf die ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte zur Sicherung seines Unterhalts dringend angewiesen sein. Und diese zweite Voraussetzung war hier nicht erfüllt, weil der Mann nach Durchführung des Versorgungsausgleichs immer noch rund 2.000 EUR Altersrente zur Verfügung haben würde. Und dies ist mehr als ein durchschnittliches Renteneinkommen.
Hinweis: Die Abweichung vom starren Halbteilungsprinzip beim Versorgungsausgleich ist eine seltene Ausnahme.
Quelle: BGH, Beschl. v. 31.01.2024 - XII ZB 259/23(aus: Ausgabe 05/2024)
- Rentenvertrag gekündigt: Billigkeitsprüfung beim Versorgungsausgleich nach Ausübung des Kapitalwahlrechts
Erst vereinbaren die Eheleute notarvertraglich Gütertrennung, dann trennen sie sich. So war es im Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG). Denn dass sich der Mann kurz vor seiner Einreichung der Scheidung zwei private Rentenverträge auszahlen ließ, nachdem er vom diesbezüglichen Kapitalwahlrecht Gebrauch gemacht hatte, stieß seiner Ehefrau bitter auf. Daher landete die Sache auch zuerst vor dem Familiengericht (FamG) und schließlich vor dem OLG.
Das FamG prüfte, ob der Mann die Rentenverträge dem Versorgungsausgleich entzogen und dadurch die Verteilungsgerechtigkeit gestört habe. Denn wegen der zuvor vereinbarten Gütertrennung kam die Frau nicht in dem anderen Ausgleichssystem - dem Zugewinnausgleich - an ihren hälftigen Anteil. Der Mann argumentierte, die Rentenverträge seien nie Teil seiner Altersvorsorge gewesen, sondern Teil der Finanzierung seiner Augenarztpraxis. Dafür sprach auch, dass er damals die Verträge an die finanzierende Bank abgetreten hatte. Zudem hielt er der Bewertung als Altersvorsorge entgegen, dass die Fälligkeit der ersten Rentenzahlung bereits im Alter von 50 begonnen hätte, wenn er nicht die Kapitalauszahlung gewählt hätte.
Dennoch urteilte das OLG, dass die beiden Rentenversicherungsverträge bei objektiver Betrachtungsweise der Absicherung im Alter gedient hätten. Hierfür spreche die Art des Vertrags mit lebenslanger Zahlweise. Dass der Mann trotz des ausgezahlten Rentenkapitals noch berufstätig war, stand der Annahme, dass die Anwartschaft der Absicherung im Alter dienen sollte, nicht entgegen. Denn es liege nahe, dass er bei Abschluss der Verträge für möglich hielt, bereits mit 50 nicht mehr arbeiten zu wollen. Erwähnenswert war dem OLG auch der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Ausübung des Kapitalwahlrechts und der Einleitung des Scheidungsverfahrens. Unter diesen Umständen bekam der Mann von den Altersanrechten der Frau den entsprechenden Teil nicht.
Hinweis: Das Gericht konnte ein gerechtes Halbteilungsergebnis erzielen, weil auf Seiten der Frau ausreichend Altersvorsorge vorhanden war, die ihr dann ungeteilt verblieb. In Fällen, in denen das entzogene Anrecht mehr wert ist als das, was die Gegenseite abgeben müsste, führt eine solche Vorgehensweise zu wirtschaftlichem Erfolg, auch wenn sie als unbillig beurteilt wird.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.02.2024 - 18 UF 82/23(aus: Ausgabe 05/2024)
- VKH für polnische Scheidung: Recht auf unterschiedslose und absolute gleichwertige Gewährung von Rechtsschutz
Zwei polnische Staatsangehörige hatten in Polen geheiratet und sich schließlich getrennt. Frau und Kinder blieben in Polen, der Mann war nach Deutschland gezogen. Zehn Jahre später reichte er die Scheidung ein - in Deutschland. Dafür beantragte er Verfahrenskostenhilfe (VKH), die ihm das Familiengericht Neustadt am Rübenberge (FamG) verweigerte. Doch dann ging die Sache zum Oberlandesgericht Celle (OLG).
Der europäische Gesetzgeber hat in Art. 3 Brüssel IIb-Verordnung diese gleichrangige Auswahl zwischen internationalen Zuständigkeiten ermöglicht. Dadurch, dass der Antragsteller sich seit mehr als einem Jahr in Deutschland aufgehalten hatte, war ihm der deutsche Rechtsweg eröffnet. Das bedeutete aber nicht, dass das deutsche Gericht nach deutschem Familienrecht entscheidet: Weil beide Ehegatten die polnische Staatsangehörigkeit hatten und die Frau noch in Polen wohnte, galt das deutsche Scheidungsrecht nicht. Das FamG gewährte ihm daher dafür auch keine VKH. Er solle das Scheidungsverfahren in Polen führen. Denn auch, wenn es eine Wahlzuständigkeit für das Scheidungsverfahren in beiden Ländern gebe, sei seine Entscheidung, den Antrag in Deutschland einzureichen, mutwillig. Ein deutsches Gericht müsse sich dann mit polnischem Scheidungsrecht befassen, womit es sich nicht auskenne und deshalb ein teures Rechtsgutachten einholen müsse. Ein verständiger Beteiligter, der die anteiligen Gerichtskosten aus eigener Tasche zu zahlen hätte, würde dieses Scheidungsverfahren nicht in Deutschland führen.
Das OLG hob diese Entscheidung des FamG auf. Die mit dem ausländischen Recht verbundenen Unannehmlichkeiten für das Gericht und die eventuellen Mehrkosten durften nicht zur Ablehnung von VKH führen. Die Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte würde das Recht auf unterschiedslose und absolute gleichwertige Gewährung von Rechtsschutz verletzen. Zudem läge darin zu Lasten von EU-Bürgern ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, der auch verdeckte Ungleichbehandlungen verbietet. Ergänzend kam hinzu, dass das FamG gar nicht geprüft hatte, ob für den Antragsteller eine Rechtsverfolgung vor einem polnischen Gericht tatsächlich günstiger wäre und er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln wirtschaftlich in der Lage wäre, von Deutschland aus das Verfahren in Polen zu betreiben.
Hinweis: Das FamG muss bei der Anwendung ausländischen Rechts nicht zwingend ein teures Rechtsgutachten einholen. Es gibt deutschsprachige Literatur darüber, außerdem ein europäisches Abkommen, nach dem Anfragen an ausländische Gerichte gestellt werden können.
Quelle: OLG Celle, Beschl. v. 20.02.2024 - 12 WF 15/24(aus: Ausgabe 05/2024)
- Vaterschaft missgönnt: Mutter muss Abstammungsgutachten allein bezahlen
Der biologische Vater eines Kindes ist durch ein Sachverständigengutachten zu ermitteln, wenn die Mutter sogenannten "Mehrverkehr" hatte. Die Kosten müssen in so einem Fall alle Beteiligten anteilig tragen, denn Kindesmutter und potentielle Väter veranlassen das Verfahren in gleicher Weise dadurch, dass sie miteinander geschlechtlich verkehrt haben. Im Fall des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen (OLG) lag die Sache jedoch anders.
Hier war sich das OLG mit dem vorinstanzlichen Amtsgericht (AG) einig: Die Mutter musste sowohl das Verfahren als auch das Abstammungsgutachten alleine bezahlen. Denn hier gab es nicht mehrere Sexualkontakte innerhalb der sogenannten gesetzlichen Empfängniszeit - also keinen Mehrverkehr. Es kam vielmehr nur ein einzelner Mann als Vater infrage. Und dieser wollte sogar gern der gesetzliche Vater des Kindes sein. Selbst die Mutter bezweifelte nicht, dass er der Erzeuger war, und hätte mittels Vaterschaftsanerkennung beim Jugendamt zustimmen können, um die Verfahrenskosten zu vermeiden. Doch sie missgönnte dem Mann den Status als gesetzlicher Vater, weil er sich um das Kind ihrer Meinung nach nicht ausreichend kümmere. Sowohl AG als auch OLG beurteilten dieses Verhalten als mutwillig und reagierten mit dem Auferlegen von Kosten.
Hinweis: Die gesetzliche Empfängniszeit dauert vom 300. bis zu dem 181. Tag vor der Geburt des Kindes. Sie ist so lang, um alle außergewöhnlichen biologischen Varianten der Zeugung zu erfassen.
Quelle: Hanseatisches OLG in Bremen, Beschl. v. 29.02.2024 - 4 UF 1/24(aus: Ausgabe 05/2024)
- Vorsicht vor Steuerstraftat: Familienkasse muss dringend mitgeteilt werden, wenn Kind nicht mehr bei Kindergeldempfänger lebt
Typische Falle nach Trennung von Eltern: Das Kindergeld wird an den Elternteil weitergezahlt, der nicht mehr mit dem Kind zusammenlebt. Dann ist es an den Finanzgerichten - wie hier am Finanzgericht Bremen (FG) -, die Sache nicht nur zu klären, sondern auch die unberechtigt gezahlten Beträge wieder in die Familienkasse zurückzuholen.
So war es im Fall eines Mannes, dessen Frau ohne sein Einverständnis im Juli mit dem gemeinsamen Kind ausgezogen war. Vor dem Familiengericht wurde Mitte September über den Lebensmittelpunkt des Kindes verhandelt - mit dem Ergebnis, dass die Mutter das alleinige Sorgerecht bekam und das Kind weiter bei ihr wohnen durfte. Im Oktober meldete die Mutter das Kind rückwirkend zum Juli um. Erst im Dezember teilte der Mann dies der Familienkasse mit. Dass er das Kindergeld von August bis Dezember an die Familienkasse zurückzahlen musste, lag auch daran, dass die Mutter nicht auf dem dafür vorgesehenen Formular bestätigte, dass er es an sie weitergeleitet hatte. Er meinte, dass ihm das Kindergeld noch bis zur Sorgerechtsentscheidung im September zugestanden habe, weil er vorher mit einem Auszug seines Kindes gar nicht einverstanden gewesen sei und noch das Mitsorgerecht gehabt habe.
Darauf kam es dem FG, das ihn zur Rückzahlung verurteilte, aber nicht an. Sobald das Kind nicht zeitnah in den Haushalt des kindergeldberechtigten Elternteils zurückkehrt, entfällt der Kindergeldanspruch rückwirkend bei dem einen Elternteil und entsteht bei dem anderen Elternteil. Auf den Zeitpunkt der rechtlichen Klärung dieser tatsächlichen Situation kommt es genauso wenig an wie auf die Ummeldung. Dass der Vater mit dem Wohnsitzwechsel erst in der Gerichtsverhandlung am 15.09. einverstanden war, ändert nichts daran, dass ein tatsächliches Obhutsverhältnis zwischen ihm und dem Kind ab August nicht mehr bestanden hat. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob dem Vater eine Verletzung von Mitwirkungspflichten vorwerfbar ist oder ob er das Kindergeld bereits verbraucht hat und damit "entreichert" ist.
Hinweis: Es ist eine Steuerstraftat, wenn man der Familienkasse nicht unverzüglich mitteilt, dass das Kind nicht mehr im selben Haushalt lebt wie der Kindergeldempfänger - zunehmend verfolgen die Staatsanwaltschaften dieses Delikt.
Quelle: FG Bremen, Urt. v. 26.02.2024 - 2 K 103/23(aus: Ausgabe 05/2024)
- Beschaffenheitsvereinbarung: Zusicherung "TÜV bis April 2023" bei Privatverkauf bindend
Bei privaten Autokäufen wird ein vermeintlich guter Deal durch den sogenannten Sachmängelhaftungsausschluss schnell zum Alptraum. Der Fall des Oberlandesgerichts Rostock (OLG) lag jedoch anders, denn hier musste erst einmal festgestellt werden, ob dieser Vertragspassus überhaupt griff oder ob die gemachte Zusicherung nicht etwa über den vereinbarten Ausschluss der Sachmängelgewährleistung hinausging.
Ein Autokäufer erwarb bei einem privaten Verkäufer ein Fahrzeug. In dem privaten Kaufvertrag hatte der Verkäufer eingetragen "bis April 2023 TÜV". Einen Prüfbericht hatte der Verkäufer von dem Vorbesitzer nicht bekommen. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die TÜV-Angabe falsch war. Das Fahrzeug hatte letztmalig 2019 eine Hauptuntersuchung (HU) durchlaufen. Der Käufer trat daraufhin vom Kaufvertrag zurück und forderte Rückzahlung des Kaufpreises nebst Schadensersatz. Der Verkäufer berief sich hingegen darauf, dass ihm auch der Vorbesitzer diese Zusage gemacht habe. Einen TÜV-Bericht habe auch er nie gesehen, weswegen er nicht gewusst habe, dass die Angaben nicht korrekt waren.
Das OLG gab dem Käufer recht. Da die Zusage "TÜV bis April 2023" im Vertrag stand und auch in den Verkaufsgesprächen nachweislich eine Rolle gespielt habe, lag hier eine Beschaffenheitsvereinbarung vor - ein eventueller Sachmängelhaftungsausschluss greife daher nicht. Es war vom Verkäufer zudem fahrlässig, sich den Prüfbericht nicht zeigen zu lassen oder zumindest vor dem Weiterverkauf zu prüfen. Eine vorherige Sichtung sei auch von einem privaten Verkäufer zu erwarten gewesen.
Hinweis: Der Beklagte hatte das Fahrzeug mit dem Hinweis öffentlich angeboten, es liege eine noch bis April 2023 gültige HU vor. Nach dem Inhalt des Verkaufsgesprächs mit dem Kläger hatte der Beklagte auch hier unmissverständlich erklärt, das Fahrzeug habe "TÜV", und er müsse lediglich noch den Bericht der letzten HU heraussuchen und werde diesen dann gegebenenfalls nachreichen. Bei dieser Sachlage lag in Bezug auf den Umstand, dass das an den Kläger verkaufte Fahrzeug noch bis April 2023 "TÜV" habe, mindestens eine Beschaffenheitsvereinbarung vor. Das wiederum hat zur Folge, dass der im Kaufvertrag vereinbarte Ausschluss der Sachmängelgewährleistung diesen Punkt nicht einschloss und damit Gewährleistungsrechte diesbezüglich nicht ausgeschlossen waren.
Quelle: OLG Rostock, Beschl. v. 30.01.2024 - 7 W 3/24(aus: Ausgabe 05/2024)
- Einsatz in unklarer Verkehrslage: Auch Fahrern von Einsatzfahrzeugen muss umsichtiges Verhalten abverlangt werden dürfen
Augen und Ohren auf im Straßenverkehr! Denn wenn es blinkt und heult, ist es gut möglich, dass ein Einsatzfahrzeug seine Sonderrechte wahrnehmen will. Im Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) ging das jedoch schief, denn ein Verkehrsteilnehmer hatte die Situation offensichtlich nicht so wahrgenommen, wie es durch die Nutzung der Sondersignale intendiert war. Trifft ihn nun die alleinige Schuld an der Kollision mit dem Einsatzfahrzeug?
Ein Rettungswagen näherte sich mit Blaulicht und Martinshorn einer Kreuzung. Die Ampel zeigte für seine Fahrspur rot. Dennoch fuhr er mit unverminderter Geschwindigkeit in den Kreuzungsbereich ein. Dort näherte sich ein Pkw, dessen Fahrerin die Situation falsch einschätzte und bei Grün in die Kreuzung einfuhr. Es kam zur Kollision im Kreuzungsbereich. Die Klägerin forderte Schadensersatz. Der Rettungswagenfahrer entgegnete, er habe die Sondersignale geschaltet und daher seine Sonderrechte wahrgenommen. Die gegnerische Versicherung ging jedoch von einem Mitverschulden aus.
Das OLG sah den Schuldanteil beider Parteien als gleichwertig an. Zwar sei es richtig, dass Fahrzeuge mit Sondersignalen Vorrang haben und andere Verkehrsteilnehmer den Fahrweg räumen müssen. Wenn es sich jedoch um eine Kreuzungssituation handelt und das Einsatzfahrzeug Rot hat, müsse der Fahrer damit rechnen, dass Querverkehr bei Grün einfahre, weil die Situation falsch eingeschätzt wurde oder die Signale nicht wahrgenommen wurden. Ein Rettungsdienstfahrer darf eine Kreuzung bei Rot nur überqueren, wenn er sich überzeugt hat, dass er von den anderen Verkehrsteilnehmern wahrgenommen wird. Ein umsichtiger Fahrer habe hier von einer unklaren Verkehrslage ausgehen und seine Fahrweise anpassen müssen. Daher sei eine Schadensteilung gerechtfertigt.
Hinweis: Nach § 35 Abs. 8 Straßenverkehrs-Ordnung kommt den Erfordernissen der Verkehrssicherheit stets Vorrang gegenüber dem Interesse des Einsatzfahrzeugs am raschen Vorwärtskommen zu. Je mehr der Sonderrechtsfahrer von Verkehrsregeln abweicht, desto höhere Anforderungen sind an seine Sorgfalt zu stellen. Er darf sich immer nur mit einer Geschwindigkeit nähern, die ihm ein rechtzeitiges Anhalten ermöglicht, und nur dann die Kreuzung bei Rot überqueren, wenn er sich überzeugt hat, dass die anderen Verkehrsteilnehmer ihn wahrgenommen und sich auf seine Absicht eingestellt haben.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 20.11.2023 - 17 U 121/23(aus: Ausgabe 05/2024)
- Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs: Wer anderen die Nutzung ihres Kfz vorenthält, muss den Ausfall laut Schwacke-Liste begleichen
Wer das Eigentumsrecht eines anderen verletzt, so dass dieser die entsprechende Sache nicht nutzen kann, muss für diesen Ausfall aufkommen. Auslöser im Fall, den das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) zu bewerten hatte, war ein privater Streit, in den der Sohn des einen Beteiligten hineingezogen wurde. Dass dieser dann der anderen Partei das Auto entzog, erwies sich für ihn schließlich als kostenspielige Einmischung.
Die Klägerin war mit dem Vater des Beklagten befreundet. Während eines Krankenhausaufenthalts des Vaters des Beklagten kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Frau und dem Vater. Zu diesem Zeitpunkt war das klägerische Fahrzeug, um das es unter anderem auch ging, auf einem Stellplatz vor dem Hof des im Gemeinschaftseigentum des Beklagten und seines Vaters stehenden Anwesens geparkt. Zugehörige Schlüssel befanden sich unter anderem in der Wohnung des Vaters des Beklagten. Der Beklagte fuhr das Fahrzeug auf den Hof des Anwesens, sicherte das Hoftor mit einem Schloss, zu dem die Klägerin keinen Schlüssel besaß, und wechselte das Schloss zum Wohnhaus aus. Damit hatte die Klägerin keinen Zugang mehr zu dem Anwesen und damit auch nicht zu ihrem Fahrzeug. Nun begehrte die Klägerin Nutzungsentschädigung wegen dieser Vorenthaltung.
Das zuständige Landgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung der begehrten Nutzungsentschädigung, und auch dessen Berufung vor dem OLG blieb ohne Erfolg. Schließlich hatte der Beklagte das Eigentumsrecht der Klägerin verletzt. Eine Eigentumsverletzung ist auch dann gegeben, wenn auf eine Sache (wie hier) eingewirkt und damit ihre Benutzung objektiv verhindert wird. Der Umstand, dass sich der Schlüssel zu dem Fahrzeug in der Wohnung des Vaters befunden habe, lasse allein für sich keinen zwingenden Rückschluss auf das Eigentum des Vaters zu. Der Beklagte habe zudem gewusst, dass sich die Klägerin zumindest an den Wochenenden bei seinem Vater aufhalte. Es existierte zudem auch keine Zulassungsbescheinigung, die seinen Vater als Halter des Fahrzeugs ausgewiesen hätte. Schließlich kam auch dem Umstand Gewicht zu, dass das Fahrzeug ursprünglich nicht auf dem Hof des Anwesens parkte. Die Klägerin kann damit Nutzungsausfallschaden geltend machen, denn ein anderes Fahrzeug habe ihr im relevanten Zeitraum nicht zur Verfügung gestanden. Der Schaden kann auf Basis der allgemeinen Tabellen für die Höhe des Nutzungsausfalls geschätzt werden.
Hinweis: Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung stellt die Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich ein vermögenswertes Gut dar und ist als geldwerter Vorteil anzusehen, so dass sich bei vorübergehender Entziehung ein Vermögensschaden ergeben kann. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass die Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs innerhalb und außerhalb des Erwerbslebens geeignet ist, Zeit und Kraft zu sparen und damit in Unabhängigkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln das Fortkommen im allgemeinsten Sinne zu fördern.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 25.01.2024 - 26 U 39/22(aus: Ausgabe 05/2024)
- Nachweis für Straftaten: Ohne objektive Beweise für eine von zwei geschilderten Versionen wird die Klage abgewiesen
Es ist schwer, an sein Recht zu kommen, wenn es an Beweisen fehlt, die den Anspruch eindeutig belegen. Auch wenn dies am Gerechtigkeitsempfinden nagt: Den Gerichten - wie im Folgenden dem Amtsgericht München (AG) - bleibt in Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, oftmals nichts anderes übrig, als die Klage abzulehnen.
Nachdem der Kläger mit seinem Auto aus einer Hofeinfahrt gefahren war, ließ er es kurz nach der Ausfahrt quer über Fußgänger- und Radweg stehen, um die händisch zu bedienende Schranke hinter dem Fahrzeug zu schließen. Zur gleichen Zeit näherte sich der Beklagte auf einem Fahrrad. Der Beklagte musste dem Auto des Klägers auf dem Radweg ausweichen und hielt an. Zwischen beiden Parteien kam es in der Folge zu einer Auseinandersetzung. Der Kläger behauptete, der Beklagte habe mit seinem Fuß gegen das Heck des Fahrzeugs des Klägers getreten und dieses hierdurch beschädigt. Überdies habe ihm der Beklagte mit der Faust gegen den Kiefer geschlagen. Der Kläger erhob Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.
Das AG hat die Klage jedoch abgewiesen, da der Kläger den von ihm behaupteten Geschehensablauf nicht beweisen konnte. Das Gericht hatte beide Parteien informatorisch angehört. Beide Parteien schilderten detailreich, nachvollziehbar und flüssig den Geschehensablauf. Da sich beide Schilderungen jedoch widersprachen und logisch nicht miteinander in Einklang zu bringen waren, konnte das AG keine Feststellungen treffen, die darauf schließen ließen, dass eine Version glaubhafter war als die andere.
Hinweis: Das Gericht muss unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach seiner freien Überzeugung, § 286 Abs. 1 Zivilprozessordnung, davon überzeugt sein, dass der vom Kläger geschilderte Sachverhalt stattgefunden hat. Bestehende Zweifel bzw. eine Unaufklärbarkeit gehen zu Lasten des Anspruchstellers. Nachdem weitere Beweismittel - wie beispielsweise Zeugen - nicht zur Verfügung standen, war die Klage abzuweisen.
Quelle: AG München, Urt. v. 29.02.2024 - 161 C 14050/23(aus: Ausgabe 05/2024)
- Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Abschleppen vom Carsharingparkplatz auch ohne konkrete Verkehrsbehinderung möglich
Nicht wenige motorisierte Anwohner ärgern sich über Carsharingsfahrzeuge, die "ihre Straßen zuparken". Dass es umgekehrt aber auch nicht ratsam ist, das eigene Auto auf einem Parkplatz abzustellen, der ausdrücklich für eben jene Leihfahrzeuge vorgesehen ist, zeigt der Fall des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (VG). Denn im Ernstfall hilft weder die geringe Parkzeit noch der Umstand, offensichtlich niemanden behindert zu haben.
Die Klägerin hatte ihren Pkw innerorts an einer Stelle abgestellt, die durch Verkehrsschilder als Parkplatz für Carsharingfahrzeuge gekennzeichnet war. Ein städtischer Mitarbeiter der Verkehrsüberwachung stellte den Verstoß fest und beauftragte einen Abschleppwagen. Kurz vor dessen Eintreffen erschien die Klägerin zwar und entfernte ihr Fahrzeug von dem Parkplatz, dennoch machte die Stadt ihr gegenüber mit Bescheid die Kosten der Leerfahrt des Abschleppwagens geltend. Zur Begründung ihrer Klage gegen diesen Bescheid trug die Frau vor, sie habe nur elf Minuten auf dem Carsharingplatz geparkt, zudem seien zu dieser Zeit noch weitere Parkplätze frei gewesen, so dass ein Abschleppen nicht notwendig gewesen sei.
Das VG entschied dennoch, dass die Beauftragung des Abschleppwagens rechtmäßig gewesen war. Ein Fahrzeug, das auf einem nach der Beschilderung ausschließlich Carsharingfahrzeugen vorbehaltenen Parkplatz steht, aber nicht am Carsharing teilnimmt, wird so betrachtet, als stünde es in einem absoluten Halteverbot. Die Abschleppmaßnahme war verhältnismäßig, weil die Funktion der Parkplätze für Carsharingfahrzeuge nur dann gewährleistet sei, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Carsharingfahrzeug am Parken gehindert habe. Das Abschleppen ist zudem unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass von einem zu Unrecht auf einem Carsharingparkplatz abgestellten Fahrzeug eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgeht.
Hinweis: Nach der Rechtsprechung ist das Abschleppen eines verbotswidrig abgestellten Fahrzeugs nicht unverhältnismäßig, wenn es allein der Beseitigung eines Rechtsverstoßes von nicht unerheblicher Dauer dient - auch ohne dass es eine konkrete Verkehrsbehinderung beseitigt. Das Abschleppen eines verkehrswidrig geparkten Fahrzeugs steht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Einklang, wenn mit dem verkehrswidrigen Parken eine Funktionsbeeinträchtigung der Verkehrsfläche verbunden ist. Auf das Vorliegen einer konkreten Verkehrsbehinderung kommt es dabei nicht an.
Quelle: VG Düsseldorf, Urt. v. 20.02.2024 - 14 K 491/23(aus: Ausgabe 05/2024)
- Auf dem Laufenden bleiben: Über die Pflichten von Rechtsanwälten bei geänderter Rechtsprechung
Gut Ding will auch in Rechtsfragen manchmal Weile haben. Da kann es passieren, dass sich inmitten einer laufenden Rechtssache die diesbezügliche Rechtsprechung höchstrichterlich durch den Bundesgerichtshof (BGH) ändert. Welche Pflichten ein Rechtsanwalt bei solchen Eventualitäten gegenüber seinem Mandanten hat, wurde kürzlich vor dem Thüringer Oberlandesgericht (OLG) bewertet.
Rechtsanwälte mit der Spezialisierung für Kapitalanlagerecht hatten Mandanten vertreten, eine Klage und später eine Berufung in der Sache eingereicht, obwohl der BGH zuvor geurteilt hatte, dass solche Ansprüche verjährt sind. Die Anwälte hatten zuvor individualisierte Mustergüteranträge eingereicht, um die Verjährung zu hemmen. Das hatte der BGH jedoch grundsätzlich als nicht ausreichend angesehen. Aus diesem Grund verlangte nun die Rechtsschutzversicherung der Mandanten den Ersatz der gezahlten Rechtsanwaltsvergütung - und das zu Recht.
Die Rechtsanwälte hatten die ihnen zukommenden Pflichten aus dem Anwaltsvertrag mit ihren Mandanten verletzt, weil sie sie vor der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung nicht zum Wegfall der Erfolgsaussichten ihrer Klage beraten und nicht von der Einlegung dieses Rechtsmittels abgeraten hatten. Die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung hat ein - auf das betroffene Rechtsgebiet spezialisierter - Rechtsanwalt, der mit einer Vielzahl ähnlich gelagerter Verfahren mandatiert ist, im besonderen Maße zeitnah zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Beratung zu berücksichtigen. Er muss sich über die online verfügbare Entscheidungsdatenbank des BGH über die fortlaufende Rechtsprechung informieren. Das war hier nach Ansicht des OLG nicht erfolgt.
Hinweis: Der Rechtsanwalt des Vertrauens sollte also aktuell informiert sein. Je spezieller die Ausrichtung ist, desto mehr Anforderungen werden an den Rechtsanwalt gestellt.
Quelle: Thüringer OLG, Urt. v. 26.01.2024 - 9 U 364/18(aus: Ausgabe 05/2024)
- Corona-Pandemie: Rückzahlung der Hotelkosten trotz Buchung eines nichtstornierbaren Tarifs
Die Folgen der Corona-Pandemie beschäftigen immer noch die Gerichte - in diesem Fall den Bundesgerichtshof (BGH). Dabei ging es einmal mehr um die Stornierung einer gebuchten und bezahlten Reise, deren Antritt in eine pandemische Hochphase fiel. Die Frage war nun, welche Bedeutung die Tatsache mit sich bringt, sich für einen nicht stornierbaren Tarif entschieden zu haben: Muss man sich dann einfach auf einen anderen Termin vertrösten lassen?
Eine Frau buchte im Oktober 2019 für sich und vier Mitreisende drei Doppelzimmer in einem Hotel in Lüneburg für Mai 2020. Dabei wählte sie einen nicht stornierbaren Tarif und bezahlte im Voraus. Eine Woche vor der Reise erklärte sie, dass sie die Buchung doch storniere, und bat um Rückzahlung. Sie bezog sich dabei auf einen Beschluss der niedersächsischen Landesregierung, wonach die Einschränkungen für das touristische Reisen bis zum 25.05.2020 gälten. Das Hotel lehnte die Rückzahlung und eine Verschiebung der Buchung um ein Jahr ab und bot lediglich eine Umbuchung auf die Zeit nach Aufhebung der Beschränkungen, jedoch nicht später als bis zum 30.12.2020 an. Schließlich klagte die Frau das Geld ein.
Die Klage gewann sie, und auch eine Revision des Hotels blieb vor dem BGH erfolglos. Die Frau hat ihr Geld zurückbekommen. Dem Beklagten war durch das behördliche Verbot zur Beherbergung von Gästen die Leistungserbringung schlichtweg unmöglich geworden - und damit hatte die Frau auch das Recht, ihrerseits vom Vertrag zurückzutreten.
Hinweis: Es wird noch einige Urteile zu Geschehnissen während der Corona-Zeit geben. Das ist auch gut so. Denn falls wir noch eine Pandemie erleben, wird vieles klarer sein.
Quelle: BGH, Urt. v. 06.03.2024 - VIII ZR 363/21(aus: Ausgabe 05/2024)
- Das französische Bett: Ein Doppelbett muss im Hotel mehr als 1,40 m Breite aufweisen
Wer kuscheln möchte, sollte sich einander einvernehmlich nähern dürfen. Dazu jedoch gezwungen zu sein, weil die zur Verfügung gestellte Schlafstatt zu schmal ausgefallen ist, ist ein durchaus nachvollziehbares Ärgernis. So geschehen im Fall, der es von einem Hotelzimmer bis vor das Amtsgericht Hannover (AG) schaffte. Denn dieses hatte zu entscheiden, wie schmal ein als Doppelbett deklariertes Hotelbett sein darf.
Ein Reiseveranstalter hatte ein Hotel mit fünf "Sonnen" bewertet - für einen "Honeymooner" Grund genug, dort für sich und seine Zukünftige ein Zimmer sowie zusätzlich ein Dreibettzimmer für drei Mitreisende seiner Hochzeitsreise zu buchen. Im Hotel angekommen, mussten die drei Mitreisenden jedoch feststellen, dass sich in dem Zimmer nur zwei Betten mit einer Breite von jeweils 1,40 m befanden - sogenannte französische Betten. Der Mann fordert eine Minderung des Reisepreises, da ein Bett mit einer Breite von 1,40 m kein Doppelbett darstelle.
Das AG sah das genauso. Reisende, die in einem Hotel eingebucht sind, das der Reiseveranstalter selbst mit fünf "Sonnen" bewertet, dürfen für jeden Reisenden mit einem Schlafplatz von mehr als nur 70 cm Breite rechnen. Diesem Anspruch wurde der Reiseveranstalter im vorliegenden Fall nicht gerecht. Ein französisches Bett mit einer Breite von 1,40 m stellt kein Doppelbett dar.
Hinweis: Bei Reisemängeln ist es stets wichtig, den Mangel vor Ort bereits zu rügen und um Abhilfe zu bitten. Das ist fast immer Voraussetzung, um später Geldansprüche durchsetzen zu können.
Quelle: AG Hannover, Urt. v. 22.02.2024 - 471 C 6110/23(aus: Ausgabe 05/2024)
- Kein Personalausweis ohne Fingerprint: EuGH sieht Achtung des Privatlebens und Grundrecht auf Schutz personenbezogener Daten gewahrt
Deutschland setzte wie andere EU-Mitgliedstaaten eine europäische Verordnung um: Seit August 2021 werden in Deutschland Fingerabdrücke im Chip von Ausweisen gespeichert. Ob die Verwendung dieser höchstpersönlichen Daten gegen geltendes Recht verstoße, wollte nun das Verwaltungsgericht Wiesbaden (VG) vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) wissen.
Ein deutscher Staatsbürger klagte gegen die Weigerung der Stadt Wiesbaden, ihm einen neuen Personalausweis ohne Aufnahme seiner Fingerabdrücke auszustellen. Das VG verlangte nun vom EuGH, eine Prüfung der Gültigkeit der Unionsverordnung durchzuführen, die die Verpflichtung vorsieht, zwei Fingerabdrücke in das Speichermedium von Personalausweisen aufzunehmen.
Der EuGH sah dabei jedoch keine Rechtswidrigkeit der Verordnung. Die Verpflichtung zur Aufnahme von zwei Fingerabdrücken im Personalausweis ist mit den Grundrechten auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten durchaus vereinbar.
Hinweis: Die Verordnung wurde jedoch auf die falsche Rechtsgrundlage gestützt. Der EuGH erklärte daher die Verordnung für ungültig. Da eine Ungültigerklärung der Verordnung mit sofortiger Wirkung schwerwiegende negative Folgen für eine erhebliche Zahl von Unionsbürgern und für ihre Sicherheit im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts haben könnte, bleibt sie dennoch in Kraft. Nun aber muss eine neue Verordnung innerhalb einer angemessenen Frist verabschiedet werden, spätestens bis zum 31.12.2026.
Quelle: EuGH, Urt. v. 21.03.2024 - C-61/22(aus: Ausgabe 05/2024)
- Verbrannt statt aufgehellt: Schmerzensgeldanspruch nach folgenschwerer Blondierung durch Frisörin
Begeht der Friseur einen Fehler, kann das nicht nur emotionalen Schmerz zur Folge haben. Im folgenden Fall litt die Betroffene zudem nicht nur körperlich an den Folgen ihre Frisörbesuchs, sondern hatte auch mit Langzeitfolgen zu leben. Die logische Folge war ein Schmerzensgeldanspruch, über den das Amtsgericht München (AG) entscheiden musste.
Eine Frau hatte schwarzgefärbte Haare, die sie sich nun blondieren lassen wollte. Kurz nach dem Auftragen des Bleichmittels habe sich eine unangenehme Hitze am Hinterkopf entwickelt. Dort sei bereits vor Ort auch eine Beule entstanden. Bei der anschließenden ärztlichen Behandlung seien schließlich Verletzungen und Verbrennungen am Hinterkopf der Frau festgestellt worden - und zwar mit bleibenden Folgen: An einer Stelle würden der Frau dauerhaft keine Haare mehr nachwachsen. Das sei nach Darstellung der Frau auf die Behandlung mit einem zehn- bis zwölfprozentigen Oxidant zurückzuführen. Dagegen wandte die Frisörin ein, lediglich ein viereinhalbprozentiges Oxidant verwendet zu haben.
Das AG sprach der Kundin das von ihr begehrte Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 EUR zu. Ein Sachverständiger des Friseurhandwerks hatte zuvor bestätigt, dass man eine Verletzung der hier vorliegenden Art bei einer 20-minütigen Einwirkungszeit und einem Wasserstoffperoxidgehalt von 4,5 % nahezu ausschließen könne. Bei der Haarfarbe der Frau nach der Behandlung sei es unmöglich, dass die Blondierung mit einem viereinhalbprozentigen Wasserstoffperoxid erreicht wurde. Es müsse mindestens ein neunprozentiges Wasserstoffperoxid verwendet worden sein. Aufgrund dieser nachvollziehbaren und plausiblen Ausführungen des Sachverständigen war das AG davon überzeugt, dass die Frisörin etwas falsch gemacht hatte. Bei der Bemessung des Schmerzensgelds waren insbesondere Art, Intensität und Dauer der erlittenen Verletzung vom Gericht einbezogen worden.
Hinweis: Falls Betroffene nach einer Behandlung bei einem Frisör oder Tätowierer Schmerzen verspüren, sollten die Beweise unmittelbar gesichert werden. In jedem Fall ist ein Arztbesuch zu empfehlen.
Quelle: AG München, Urt. v. 27.11.2023 - 159 C 18073/21(aus: Ausgabe 05/2024)