- Anwalt irrt gewaltig: Beschwerde statt Einspruch gegen Versäumnisbeschluss eingelegt
Der folgende Fall behandelt zwar kein spezifisches Problem im Familienrecht, sondern es handelt sich vielmehr um einen Denkfehler des betreffenden Anwalts. Da sich dieser aber in einer Familiensache abspielte, haben Sie an dieser Stelle das "Vergnügen" zu lesen, wie falsch Juristen liegen können. Das Versehen ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) und wird nach dessen Abfuhr sicherlich noch einen Haftungsprozess gegen den Anwalt nach sich ziehen.
Ein Verkehrsstau, wer kennt ihn nicht. So steckte auch der Rechtsanwalt dieses Falls auf dem Weg ins Gericht in einem solchen fest, woraufhin er von unterwegs aus bei Gericht anrief. Er schätzte seine Verspätung auf 20 Minuten ein - tatsächlich aber kam er erst 40 Minuten nach Terminsbeginn im Gerichtssaal an. In der Zwischenzeit hatte der Gegner bereits die Geduld verloren und einen sogenannten Versäumnisbeschluss beantragt. Und obwohl der Anwalt noch erschien und Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragte, erließ der Richter zwei Wochen später den Versäumnisbeschluss, nach dem Nachscheidungsunterhalt zu zahlen war.
Und nun kommt besagter Denkfehler ins Spiel. Der Anwalt legte hiergegen nämlich das Rechtsmittel der Beschwerde ein. Doch diese wäre nur bei einem "normalen" Beschluss korrekt gewesen - gegen einen Versäumnisbeschluss aber muss man "Einspruch" einlegen. Und nicht nur die Überschrift war falsch: Für eine Beschwerde hat man einen Monat Zeit, für einen Einspruch nur zwei Wochen. Für die Umdeutung des Rechtsmittels in einen Einspruch hatte der Anwalt das Schreiben also zudem auch zu spät abgeschickt. Die Sache ging schließlich bis zum BGH, doch auch dort konnte man dem Anwalt nicht weiterhelfen.
Hinweis: Der anwaltliche Fehler ist eindeutig, im Haftungsprozess gegen ihn dürfte es nun um die Frage gehen, ob der ausgeurteilte Unterhalt nicht ohnehin zustande gekommen wäre, so dass gar kein Schaden entstanden ist.
Quelle: BGH, Beschl. v. 29.03.2023 - XII ZB 409/22(aus: Ausgabe 06/2023)
- Bis Juni 2024: Bundesverfassungsgericht verlangt vom Gesetzgeber, das Verbot der Kinderehe nachzubessern
Dass es unserer deutschen Rechtsordnung widerspricht, wenn Kinder heiraten, liegt auf der Hand. Aber der Rechtsstaat muss eine Lösung finden für Minderjährige, die im Ausland wirksam geheiratet haben und nun in Deutschland wohnen. Der Gesetzgeber hatte die Lösung gewählt, Eheschließungen, bei denen ein Beteiligter unter 16 Jahre alt war, als unwirksam anzusehen. Doch nach eingehender Betrachtung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Bedenken, was die Ausarbeitung des Gesetzes angeht - es verlangt eine Nachbesserung.
Dass es auf den ersten Blick unseren gesellschaftlichen Vorstellungen gut entspricht, Ehen als unwirksam anzusehen, wenn sie unserem Ehebild widersprechen, stellt sich aber in den Rechtsfolgen als Nachteil gerade für die heraus, die geschützt werden sollen. Angenommen, eine 14-Jährige wäre im Ausland wirksam mit einem älteren Mann verheiratet worden, bekäme Kinder von ihm und zöge mit ihm nach Deutschland. Hier fände der Mann Arbeit und das Paar käme zu Wohlstand, während sie als Hausfrau und Mutter die Kinder betreuen würde. Das "Gesetz zum Verbot von Kinderehen" würde nun dazu führen, dass sie im Fall einer Scheidung keinerlei Ansprüche aus der Ehe hätte - denn sie wäre ja nach deutschen Vorstellungen unverheiratet. Sie bekäme also weder Unterhalt (falls die Kinder nicht mehr ganz klein sind) noch einen Teil seiner Rente (Versorgungsausgleich) noch etwas von seinem Vermögen (Zugewinnausgleich).
So geht das nicht, befand das BVerfG, und hat den Gesetzgeber bis Juni 2024 zur Nachbesserung aufgefordert. Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, dass der minderjährig Verheiratete nach Erreichen der Volljährigkeit die Ehe im Inland wirksam weiterführen könne - ohne neu heiraten zu müssen. Zudem müssten die Auswirkungen auf den Unterhalt bedacht werden.
Hinweis: Das Gesetz ist nicht außer Kraft gesetzt und darf bis Juni 2024 noch angewendet werden.
Quelle: BVerfG, Beschl. v. 01.02.2023 - 1 BvL 7/18(aus: Ausgabe 06/2023)
- Familienrecht ist kein Strafrecht: Kindesentführung im Inland bleibt ohne Folgen
Der folgende Fall zeigt, wie schnell einem Elternteil im Inland das eigene Kind entzogen und bis zu einer gerichtlichen Klärung entfremdet werden kann. Das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) musste hier - so die Grundlage des Familienrechts in Kindersachen - zugunsten der Kinder entscheiden.
Die Eheleute und die beiden Kinder hatten zusammen in Süddeutschland gewohnt. Um sich zu trennen, tauchte die Frau in einem Frauenhaus in Norddeutschland unter und nahm die beiden Kinder mit. Das Jüngere wurde noch beigestillt, das Ältere war im Kindergartenalter. Der Vater wollte erreichen, dass die Kinder zurück nach Süddeutschland kommen, und beantragte beim Familiengericht (FamG) an seinem Wohnort das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder. Er war bereit, Mutter und Kindern die Familienwohnung zu überlassen und auszuziehen. Alternativ bot er an, die Kinder selbst zu betreuen. Doch das Jugendamt am Ort des Frauenhauses attestierte eine gute Versorgung der Kinder und teilte mit, die Mutter habe dort eine Wohnung gefunden, in die sie demnächst umziehe. Der Verfahrensbeistand sprach sich für einen Verbleib der Kinder bei der Mutter aus, weil die Bindung zu ihr enger sei. Eine Trennung des Säuglings von der Mutter komme zudem nicht in Betracht. Ob für die Mutter eine Bedrohungslage durch den Vater bestanden hatte, ließ sich nicht aufklären.
FamG und OLG entschieden im Eilverfahren vorläufig - beide zum Nachteil des Vaters. Dabei kam es ausdrücklich nicht auf die Frage an, dass die Mutter die Kinder entführt und damit das Sorgerecht des Vaters verletzt habe. Denn Familienrecht ist kein Strafrecht. Bei der Abwägung darf nur das Kindeswohl eine Rolle spielen, nicht das Bedürfnis der Sanktion eines Fehlverhaltens eines Elternteils. Der Ortswechsel ohne das Einverständnis des anderen Elternteils hat innerhalb Deutschlands nur Bedeutung für die Frage, ob daraus Rückschlüsse auf eine Entfremdungsabsicht zu ziehen sind. Das OLG glaubte der Mutter zwar nicht, dass kein näheres Frauenhaus aufnahmebereit gewesen wäre, und sah, dass der Vater seine Kinder seit Monaten nicht gesehen hatte. Dennoch unterstellte es der Mutter nicht, die Kinder dem Vater entfremden zu wollen. Das Grundrecht eines Elternteils verbietet es, ihn selbst zum Rückzug aufzufordern. Es geht allein um den Aufenthalt der Kinder.
Hinweis: In einem Hauptsacheverfahren kann noch der endgültige Verbleib der Kinder geklärt werden. Die Erfolgswahrscheinlichkeit für den Vater ist in diesen Fällen aber gering. Das Verhalten der Mutter wird als "ertrotzte Kontinuität" bezeichnet. Bis das Hauptsacheverfahren entscheidungsreif ist, werden sich die Kinder am neuen Wohnort und mit der neuen Situation so eingelebt haben, dass kein Gericht sie wieder herausreißt. Bei jüngeren Kindern führt die Eigenmächtigkeit daher häufig zum Ziel.
Quelle: OLG Stuttgart, Beschl. v. 10.02.2023 - 15 UF 267/22(aus: Ausgabe 06/2023)
- Keine eindeutige Regelung: Kein Ordnungsgeld gegen Mutter, die sich der unklaren Umgangsvereinbarung widersetzte
Wenn der Umgang zwischen einem Kind und einem Elternteil gerichtlich geregelt werden muss, hat es vorher schon Schwierigkeiten zwischen den Eltern gegeben, in die ein Erlass eines Beschlusses oder der Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs Ruhe bringen soll. Damit im Fall einer Zuwiderhandlung eine Vollstreckbarkeit mit einem Ordnungsmittel möglich ist, müssen die Bedingungen im entsprechenden Schriftstück aber auch klar und deutlich formuliert sein. Ist die Formulierung der Umgangsregelung nicht hundertprozentig eindeutig, kommt es zu Streitigkeiten, über die in diesem Fall das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) zu urteilen hatte.
Für einen Vater war dessen Umgangsrecht "Alle 14 Tage von Freitag nach der Schule bis Montag früh zum Beginn der Schule, beginnend mit dem 16.09. bis 19.09.2022" formuliert. Am 16.09. waren aber noch Ferien. Die Schule begann für das Kind erst am Montag, dem 19.09.2022. Die Mutter verweigerte aus diesem Grund den Umgang vom 16.09. bis 19.09.2022. Der Familienrichter, der den Beschluss formuliert hatte, hatte aber offensichtlich gemeint, dass das Kind das Einschulungswochenende beim Vater verbringen soll, und setzte ein Ordnungsgeld von 300 EUR gegen die Mutter fest. Beim OLG wurde das allerdings aufgehoben.
Für die Vollstreckung muss die gerichtliche Entscheidung hinreichend bestimmt sein. Die hier gewählte Formulierung ("Umgang ... von Freitag nach der Schule ...") wird für den Normalfall des Schulbesuchs als ausreichend angesehen, weil es darum geht, dass der betreuende Elternteil dafür sorgen muss, dass der Umgangsberechtigte das Kind von der Schule abholen kann. Die Formulierung erfasst aber keine Verpflichtung an schulfreien Tagen. Denn dann ist weder Ort noch Uhrzeit der Übergabe klar. Damit ist auch unklar, durch welches Verhalten die Mutter genau gegen den Beschluss verstoßen habe. Die mögliche Bestimmbarkeit durch ergänzende Auslegung (also logisches Denken) reicht im förmlichen Vollstreckungsverfahren nicht aus.
Hinweis: Vor allem, wenn die Umgangsvereinbarung im Gerichtstermin als Vergleich protokolliert wird, muss man auf Genauigkeit beharren und den Richter gegebenenfalls um ergänzende Verbalisierung dessen bitten, was gemeint ist. Sonst ist der Vergleich im Streitfall wertlos.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.04.2023 - 5 WF 29/23(aus: Ausgabe 06/2023)
- Trotz Verwendungszweck "Darlehen": Zuwendung unter künftigen Eheleuten muss nur hälftig zurückgezahlt werden
Manche Paare nehmen es bereits vor der Hochzeit nicht genau mit der Trennung ihrer Finanzen. Andere Paare haben das gemeinsame Ziel, sich steuerlich besonders findig zu verhalten. Schriftliche Verträge gibt es dabei nur selten. All dies zusammen führt oft zu unerwarteten wirtschaftlichen Folgen bei einer Scheidung, wie auch in diesem Fall vor dem Amtsgericht Hamburg (AG).
Am 10.12.2016 fand die Hochzeit statt. Drei Wochen vorher überwies der Mann an die Frau 200.000 EUR mit dem Betreff "Darlehen für Baufinanzierung". Die Frau leitete das Geld an ihre Eltern weiter. Dahinter stand der gemeinsame Plan, zusammen mit den Eltern der Frau ein Sechsfamilienhaus in Kroatien zur Vermietung an Feriengäste zu betreiben. Das Grundstück gehörte den Eltern, das Haus befand sich im Rohbauzustand. Das Paar hatte den Wunsch, Schenkungsteuer zu vermeiden, wie sich aus einer parallelen WhatsApp-Korrespondenz ergibt. Deshalb war die Überweisung vom Mann an die Frau als Darlehen bezeichnet gewesen. Nur zwei Jahre später lief schon das Scheidungsverfahren, und der Mann wollte seine 200.000 EUR zurück. Er versuchte das über eine Darlehenskündigung. Die Frau bestritt, dass der Mann ihr ein Darlehen gewährt habe: Er sei damals großzügig gewesen, weil er sich das habe leisten können. Sie bestritt auch den Vortrag des Mannes, die 200.000 EUR seien dafür gedacht gewesen, dass sie nach Fertigstellung Eigentümerin der Wohnung werde - wie bei einem Bauträgermodell. Sie bestritt auch, dass sie zurzeit Vermietungseinkünfte daraus habe. Dass sie im Internet als Ansprechpartnerin zu finden sei, sei nur eine organisatorische Unterstützung ihrer Eltern.
Das AG stellte fest, dass kein Darlehensvertrag zustande gekommen sei. Der Verwendungszweck "Darlehen" allein genüge nicht, denn es fehle am damaligen Rechtsbindungswillen der Frau. Aus der WhatsApp-Korrespondenz sei zu entnehmen, dass der Betrag zum endgültigen Verbleib in Kroatien gedacht war. Die Bezeichnung "Darlehen" diente lediglich der Vermeidung von Schenkungsteuer. Zudem gab es keinen Beweis für die Behauptung des Mannes, die Frau habe Eigentümerin der Wohnung werden sollen. Dazu unterstellte das Gericht, dass der Betrag nicht ohne Gegenleistungsgedanken geflossen war. Die Tatsache, dass sie im Internet als Vermieterin der Wohnung auftrat, belegte zusammen mit der WhatsApp-Korrespondenz, dass die Frau - wenn schon nicht Eigentum - den wirtschaftlichen Nutzen der Ferienwohnung bekommen sollte. Diese gemeinsame Vorstellung sei Geschäftsgrundlage der Überweisung von 200.000 EUR an die (Schwieger-)Eltern gewesen. Beim Austausch über Details der Einrichtung der Wohnung sei immer in der Wir-Form gesprochen worden, es sei daher als gemeinsames Investitionsvorhaben auszulegen.
Mit dem endgültigen Scheitern der Ehe sei die Geschäftsgrundlage dieser Vereinbarung entfallen. Weil die Immobilie erst danach fertiggestellt worden war, hatte der Mann an der Investition nie partizipiert. Daher bekam er nicht die 200.000 EUR zurück, sondern nur die Hälfte. Denn wäre die Ehe nicht gescheitert, hätte der Mann die Früchte seiner Investition nicht allein genossen, sondern gemeinsam mit der Frau.
Hinweis: Die Entscheidung ist übertragbar auf andere Sachverhalte, in denen der Zugewinnausgleich keine Lösung bietet, zum Beispiel wenn bei Gütertrennung größere Geldbeträge zwischen Eheleuten transferiert werden.
Quelle: AG Hamburg, Beschl. v. 10.11.2022 - 277 F 262/20(aus: Ausgabe 06/2023)
- Amtsgerichtsurteil erhält Sachrüge: Geschwindigkeitsmessung durch nachfahrendes Polizeimotorrad in Schräglage braucht Fixpunke
Im folgenden Fall, der dem Oberlandesgericht Hamm (OLG) vorgelegt wurde, musste es sich mit dem Urteil eines Amtsgerichts (AG) befassen. Dieses hatte einen Biker wegen zu schnellen Fahrens sowie riskanten Überholens verurteilt. Probleme hierbei machten sowohl die etwas ungewöhnlichere Messmethode als auch das hierfür erstellte Gutachten, das die Messdaten durch das erfolgte Hinterherfahren eigentlich stützen sollte - genau: "eigentlich".
Der betreffende Motorradfahrer befuhr eine Landstraße und überholte einen vor ihm fahrenden Pkw. Dabei wurde er von einem hinterherfahrenden Polizeimotorrad gemessen - es wurde eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 41 km/h festgestellt. Zudem wurde ein Überholvorgang dokumentiert, der nicht ohne Gefährdung des Gegenverkehrs abgeschlossen werden konnte. Daraufhin erging ein Bußgeldbescheid in Höhe von 370 EUR, und es wurde ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Dagegen legte der Betroffene Einspruch ein. Denn er war der Ansicht, die Messung sei durch Hinterherfahren in Schräglage nicht verwertbar. Das zuständige AG stimmte zwar zu, dass es sich nicht um ein standardisiertes Verfahren handelte und von daher ein Gutachten einzuholen sei. Aber auf Basis eben jenes Gutachtens wurde der Betroffene dann auch verurteilt.
Dieses Urteil hob das OLG nun jedoch auf. Zwar sei es richtig, dass bei einer solchen Messung nicht von einem standardisierten Verfahren ausgegangen werden könne. Daher sei das Gutachten zu Recht eingeholt worden. Es müsse aber bei einer Messung durch Nachfahren genau festgelegt werden, welche Fixpunkte Beginn und Ende der Messung definieren, welchen Abstand sie voneinander hatten und in welcher Zeit das Motorrad diese Distanz zurücklegte. Bei dem zweiten Vorwurf des Überholens trotz unübersichtlicher Stelle müssen genaue Feststellungen zur Übersichtlichkeit der Strecke erfolgen - auch das sei hier nicht der Fall gewesen. Die Sache wurde zur weiteren Feststellung an das AG zurückverwiesen.
Hinweis: Eine Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren ist grundsätzlich möglich. Erfolgt die Ermittlung mit einem Fahrzeug mit nicht justiertem Tachometer, ist regelmäßig ein erster Toleranzabzug von der abgelesenen Geschwindigkeit von 10 % zuzüglich 4 km/h für mögliche Eigenfehler des Tachometers sowie ein weiterer Toleranzabzug zwischen 6 % und 12 % der abgelesenen Geschwindigkeit erforderlich, um weiteren Fehlerquellen, wie Ablesefehler, sowie solchen Fehlern zu begegnen, die aus Abstandsveränderungen und/oder der Beschaffenheit des Fahrzeugs resultieren.
Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 09.01.2023 - III-5 RBs 334/22(aus: Ausgabe 06/2023)
- Fehlfunktion der Parkplatzschranke: Wer als Betreiber nicht regelmäßig eine Wartung veranlasst, haftet voll
Der folgende Fall des Oberlandesgerichts Naumburg (OLG) zeigt auf, welche Gefahr droht, wenn man Wartungen und Überprüfungen von technischen Anlagen nicht ernst genug nimmt und dafür keinerlei entsprechende Unterlagen vorlegen kann. Dann haftet der Betreiber im Ernstfall auch ohne weitere Anhaltspunkte für die Schäden eines Unfalls.
Ein Mann befuhr mit seinem Wohnmobil einen privaten Parkplatz, der mit einer Schranke gesichert war und dessen Öffnen und Schließen durch das Überfahren einer Induktionsschleife ausgelöst wurde. Das Befahren erfolgte ohne Probleme, als der Fahrer den Parkplatz allerdings verlassen wollte, passierte das Unglück - die Schranke schlug auf das Dach des Wohnmobils. Der Geschädigte forderte vom Parkplatzbetreiber Schadensersatz. Er habe sich genau an die Anleitung gehalten, die auf einem Schild an der Ausfahrt ausgehängt war. Der Schaden könne daher nur durch einen Defekt an der Schrankenanlage verursacht worden sein. Offenbar sei der Betreiber seiner Wartungspflicht nicht nachgekommen. Der Betreiber verweigerte jedoch die Zahlung, denn seines Erachtens sei der Schaden dadurch entstanden, dass der Geschädigte mit dem Wohnmobil vor der Schranke rangiert habe.
Entgegen dieser Auffassung sprach das OLG dem Geschädigten den begehrten Schadensersatz zu. Denn nach Auffassung des Gerichts konnte nicht nachgewiesen werden, dass der Betreiber die Schranke überhaupt habe überprüfen oder warten lassen. Auch ohne Störfälle muss der Betreiber eine solche Anlage kontrollieren und warten lassen. Daher lag eine Pflichtverletzung vor - und der Betreiber haftet voll.
Hinweis: Fällt die vom Geschädigten behauptete Pflichtverletzung ausschließlich in den Verantwortungsbereich des Schädigers, obliegt es diesem mitzuteilen, wie er seinen Verantwortungsbereich organisiert hat und dabei seinen Verkehrssicherungspflichten (hier im Fall: Einhaltung der DIN-Normen) nachgekommen ist.
Quelle: OLG Naumburg, Urt. v. 29.12.2022 - 9 U 100/22(aus: Ausgabe 06/2023)
- Kein gutgläubiger Erwerb: Wer beim Kauf eines Luxuswagens deutliche Unstimmigkeiten ignoriert, bezahlt einen hohen Preis
Das Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) hatte im folgenden Fall die Frage zu klären, ob trotz Vorlage originaler Kfz-Papiere ein gutgläubiger Eigentumserwerb eines Fahrzeugs scheitern kann. Der Kläger aus Spanien hatte seinen Lamborghini an eine Agentur vermietet, die den Wagen wiederum weitervermietete. Als der Wagen nach der Mietzeit weg war, wurde er schließlich zur Fahndung ausgeschrieben. Er fand sich auch wieder - nur aber mit einem angeblich neuen Eigentümer. Ob dieser sich hinter gutgläubigem Erwerb verstecken und somit einen hohen finanziellen Verlust vermeiden konnte, lesen Sie hier.
Der im Emsland ansässige Beklagte meldete sich auf ein Verkaufsinserat bei "mobile.de", in dem ein Lamborghini angeboten wurde. Er kam in Kontakt mit zwei Brüdern, die vorgaben, das Auto für einen in Spanien lebenden Eigentümer verkaufen zu wollen. Beide Parteien trafen sich zur Fahrzeugbesichtigung auf dem Parkplatz einer Spielothek in Wiesbaden und verabredeten die Übergabe wenige Tage später. Die Brüder trafen mit mehreren Stunden Verspätung gegen 23 Uhr am verabredeten Treffpunkt ein und gaben unter anderem an, in eine Polizeikontrolle geraten zu sein. Dennoch wurde der Kaufvertrag in dieser Nacht gegen 1 Uhr in einem Schnellrestaurant unterschrieben. Dem Beklagten wurde die Vorderseite einer Kopie des Personalausweises des angeblichen Eigentümers vorgelegt. Zwar ergaben sich auffällige Abweichungen der Schreibweise des Namens, der Adresse in dem Kaufvertrag und in den Zulassungsbescheinigungen - der Beklagte gab seinen alten Lamborghini dennoch für 60.000 EUR in Zahlung und zahlte an die Brüder weitere 70.000 EUR in bar. Er erhielt neben dem Auto die Zulassungsbescheinigungen sowie die Schlüssel. Als er das Fahrzeug dann auf seinen Namen anmelden wollte, stellte sich heraus, dass dieses unterschlagen worden war. Der spanische Kläger verlangte nun als Eigentümer die Herausgabe des Fahrzeugs.
Das OLG gab der Herausgabeklage des Eigentümers statt. Das Gericht bewertete das Verhalten des Beklagten als grob fahrlässig. Trotz Vorlage von Originalzulassungsbescheinigungen seien die Gesamtumstände so auffällig gewesen, dass der Beklagte hätte stutzig werden müssen. Er habe allein mit den als Vermittler auftretenden Brüdern verhandelt, ohne in Kontakt mit dem von den Brüdern benannten angeblichen Eigentümer zu treten oder sich eine Vollmacht der Brüder vorlegen zu lassen. Ort und Zeit des Kaufvertrags, die fraglose Inzahlungnahme des alten Lamborghinis, die unterschiedlichen Schreibweisen der Personalien des angeblichen Eigentümers - all dies hätte den Beklagten zu weiteren Nachforschungen veranlassen müssen! Besondere Vorsicht sei auch deshalb geboten gewesen, weil es sich um ein Luxusfahrzeug handelte, das erst wenige Tage zuvor in Deutschland zugelassen worden war. Der Beklagte könne sich daher nicht auf einen gutgläubigen Erwerb berufen. Er muss nun das Auto an den spanischen Kläger herausgeben.
Hinweis: Nach § 932 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch wird der Erwerber Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zu der Zeit nicht in gutem Glauben ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet der Besitz des Fahrzeugs allein nicht den für den Gutglaubenserwerb erforderlichen Rechtsschein. Vielmehr gehört es regelmäßig zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lässt. Zudem kommt es immer auch auf die Umstände des Verkaufs an.
Quelle: OLG Oldenburg, Urt. v. 27.03.2023 - 9 U 52/22(aus: Ausgabe 06/2023)
- Uneinsichtiger Wiederholungstäter: Rechtmäßige Sicherstellung eines Motorrads bei Gefahr der Teilnahme an Straßenrennen
Obwohl sich ein Motorradfahrer nicht durch bereits gemachte Erfahrungen und entsprechende Warnschüsse nach illegalen Straßenrennen läutern ließ, wurde er bei der Beschlagnahmung seines PS-starken "Bocks" dann doch ziemlich empfindlich. Und da das Gesetz Eigentumsrechte sehr ernst nimmt, war es am Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße (VG) zu entscheiden, ob diese Maßnahme der Polizei rechtens war.
Was war passiert? Zwei Motorradfahrer waren mit weit überhöhter Geschwindigkeit auf einer Landstraße unterwegs. Eine entgegenkommende Polizeistreife nahm die Verfolgung auf und stellte einen der Fahrer an einer Ampel, der zweite entkam. Bei der Überprüfung der Personalien stellten die Polizisten fest, dass der Fahrer bereits mit illegalen Rennen auffällig geworden war. Da sie befürchteten, dass das Fahrzeug für weitere Rennen benutzt werden würde, stellten sie das Motorrad - einst für Motorradrennen konstruiert und in der Lage, mit seinen 998 ccm Hubraum eine Höchstgeschwindigkeit von 285 km/h zu erreichen - vorsorglich sicher. Gegen die Sicherstellung ging der Betroffene vor Gericht.
Das VG entschied jedoch, dass die Sicherstellung durchaus rechtmäßig sei. Die Polizei hatte festgestellt, dass der Betroffene mehrfach an illegalen Rennen beteiligt war. Es sei daher davon auszugehen, dass dieses Verhalten auch wiederholt werde - insbesondere sei das auch daraus herzuleiten, dass sich der Fahrer in der mündlichen Verhandlung gänzlich uneinsichtig zeigte und behauptete, dass die Polizei falsche Angaben über die Geschwindigkeit gemacht hätte und er sich nicht gefährdend verhalten habe. Da es keine Anhaltspunkte gebe, dass die erfahrenen Verkehrspolizisten eine Fehleinschätzung vorgenommen hatten, musste von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden, so dass die Fortsetzung der Sicherstellung gerechtfertigt war.
Hinweis: Gerade von illegalen Straßenrennen geht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer aus, weshalb der Gesetzgeber im Jahre 2017 den Straftatbestand des § 315d Strafgesetzbuch (Verbotene Kraftfahrzeugrennen) eingeführt hat, nachdem das Landgericht Berlin einen Teilnehmer an einem illegalen Straßenrennen wegen Mordes verurteilt hatte, was der Bundesgerichtshof und letztlich auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt haben. Der Straftatbestand solle die außerordentliche abstrakte Gefährlichkeit dieser Rennen erfassen.
Quelle: VG Neustadt an der Weinstraße, Urt. v. 14.02.2023 - 4 K 692/22.NW(aus: Ausgabe 06/2023)
- Würde Kapazitäten sprengen: Straßenbaubehörde trifft nach Verfüllen von Frostschäden keine engmaschige Kontrollpflicht
Wer aufgrund eines Straßenschadens auf öffentlichem Grund zu Schaden kommt, kommt nicht zu Unrecht auf den Gedanken, die zuständige Behörde wegen Verkehrssicherungspflichtverletzung in Haftung zu nehmen. Das Oberlandesgericht Koblenz (OLG) musste sich genau deshalb damit befassen, ob, wann und wie oft eine solche Behörde Kontrollen durchführen muss, ob angeordnete Reparaturen ordnungsgemäß ausgeführt wurden bzw. Bestand haben.
En Autofahrer befuhr eine außerörtliche Straße. Es herrschten winterliche Straßenverhältnisse, als er mit seinem Wagen in ein Schlagloch fuhr. Dabei beschädigte er zwei Felgen, wodurch ein erheblicher Schaden entstand. Er wandte sich an die Straßenbaubehörde und verlangte Schadensersatz, denn seiner Ansicht nach sei die verkehrswichtige Straße nicht engmaschig genug kontrolliert worden. Die Behörde lehnte eine Haftung jedoch ab. Erst zwei Tage vor dem Unfall sei das Schlagloch mit Kaltmischgut verfüllt worden. Das sei die geeignete Maßnahme gewesen, bei winterlichen Verhältnissen Schlaglöcher zumindest vorläufig zu ebnen. Es sei nicht zumutbar, in so engem zeitlichen Zusammenhang erneut zu kontrollieren, ob die Füllung gehalten habe.
Der Klage des Autofahrers wurde in erster Instanz in Höhe von 75 % zwar stattgegeben. Doch in der Berufungsinstanz entschied das OLG nun, dass der Behörde keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorgeworfen werden könne. Werde ein Schlagloch in der geschilderten Weise im Winter verfüllt, muss der Verkehrssicherungspflichtige nicht schon nach zwei Tagen kontrollieren, ob die Füllung gehalten habe. Solch eine häufige Kontrollpflicht würde die Kapazitäten in finanzieller, persönlicher und sachlicher Hinsicht sprengen und sei somit unzumutbar. Die Klage wurde daher abgewiesen.
Hinweis: Derjenige, der eine Gefahrenlage schafft (bzw. verantwortet), ist grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei sind diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden.
Quelle: OLG Koblenz, Urt. v. 13.02.2023 - 12 U 1770/21(aus: Ausgabe 06/2023)
- Ausnahmevorschrift für Rücktritt: Bei Reisebuchung bereits bekannte Pandemie ist kein "außergewöhnlicher Umstand" mehr
Das "Reisen in Pandemiezeiten" könnte als Rechtsratgeber womöglich bald Regale füllen. Doch noch müssen viele Fälle ausverhandelt werden - so wie der folgende. Hier stellte sich die Frage, ob man von einer Reise zurücktreten kann, die man erst nach dem Pandemieausbruch gebucht hat. Mit der Beantwortung dieser Frage wurde das Landgericht Koblenz (LG) betraut.
Ende April 2021 buchte ein Mann für sich und seine Frau eine zweiwöchige Kreuzfahrt im Januar 2022 für über 7.000 EUR. Einen Monat vor Beginn der Kreuzfahrt informierte der Reiseveranstalter, dass der gebuchte Landausgang zum Besuch eines Konzerts wegen coronabedingter Einschränkungen storniert werden müsse. Als das Auswärtige Amt dann das Reiseland sogar als Hochrisikogebiet einstufte, trat der Mann von der Reise zurück und verlangte die Rückerstattung des gezahlten Reisepreises. Der Reiseveranstalter erstattete jedoch nur 10 %. Dagegen klagte der Mann - vergeblich.
Er konnte laut AG nämlich nicht kostenfrei von der gebuchten Reise zurücktreten. Zwar gibt es grundsätzlich eine Ausnahmevorschrift für eine Möglichkeit des Rücktritts vor einem außergewöhnlichen Umstand. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Reise vor dem Ausrufen der Pandemie durch die Weltgesundheitsorganisation am 11.03.2020 gebucht worden war. Das war jedoch nicht der Fall. Wenn eine Buchung trotz des Risikos erfolgt, ist das Eintreten des Risikos nicht mehr "außergewöhnlich", so dass die Möglichkeit eines Rücktritts somit auch nicht mehr besteht.
Hinweis: Wer also nach Beginn der Pandemie gebucht hat, dem kommen wesentlich weniger Rechte zu als demjenigen, der eine Reise vor Ausbruch der Pandemie gebucht hat.
Quelle: LG Koblenz, Urt. v. 01.02.2023 - 3 O 140/22(aus: Ausgabe 06/2023)
- Keine Corona-Tests erforderlich: Preisminderung, weil der Gastwirt die Hochzeit erheblich störte
Zweieinhalb Jahre Pandemie hatten dem Restaurantbetreiber zum Zeitpunkt des folgenden Falls sicherlich schwer zugesetzt. Die Gastronomie litt schließlich besonders hart unter den Kontaktverboten, und das Verstärken, Lockern und erneute Verstärken behördlicher Maßnahmen trugen sicherlich nicht zur Klarheit über aktuell geltende Vorgaben bei. Dennoch musste das Amtsgericht München (AG) hier Recht sprechen - und zwar auf Handeln eines Paars hin, das sich durch die übertriebene Vorsicht des Gastwirts um den "schönsten Tag ihres Lebens" gebracht sah.
Das Ehepaar hatte für Ende Juni 2022 in einer Gaststätte auf Sylt die Ausrichtung einer Hochzeitsfeier gebucht. Am Tag der Hochzeit wurde der Vater der Braut positiv auf Covid getestet. Nun wurden gemeinsam Lösungen gesucht. Der Vater der Braut konnte schließlich in der Art an der Feier teilnehmen, dass er sich im Außenbereich des Restaurants aufhielt und durch ein Fenster der Zeremonie beiwohnen konnte. Das reichte dem Restaurantbesitzer jedoch nicht aus, so dass er vor Einlass in den Innenbereich des Restaurants auch für alle übrigen 76 Gäste einen Corona-Test verlangte. Das Hochzeitspaar akzeptierte die Forderung, um die Feier nicht platzen zu lassen. Sämtliche Gäste wurden daraufhin getestet. Da auch der Vater des Bräutigams dabei positiv getestet wurde, musste er sich zum Vater der Braut in den Außenbereich begeben. Durch die Testung verzögerte sich der Beginn des Abendessens um zwei Stunden. Zudem führt dieses zu erheblichen Auseinandersetzungen innerhalb der Hochzeitsgesellschaft. Schließlich ging es um die Bezahlung der Feier - 20 % des Rechnungsbetrags von etwas über 20.000 EUR behielt das Hochzeitspaar ein. Die Gaststätte verlangte nun den Rest.
Nach Ansicht des AG konnte die Gaststätte jedoch nur 85 % des Rechnungsbetrags verlangen. Denn in den Augen des Gerichts lag eine erhebliche und nicht mehr rechtlich gerechtfertigte Störung durch die Durchführung der Corona-Tests bei allen Gästen vor. Eine gesetzliche Verpflichtung dazu gab es im Zeitpunkt der Hochzeitsfeier nämlich nicht mehr. Nach der damals geltenden Rechtslage waren selbst Kontaktpersonen eines Infizierten nicht einmal mehr zur Isolation verpflichtet, und auch eine Pflicht zur Testung bestand für sie nicht.
Hinweis: Da hat der Inhaber der Gaststätte einiges übertrieben. Corona-Tests waren im Zeitraum nicht (mehr) erforderlich und stellten somit einen erheblichen Mangel bei der Hochzeit dar.
Quelle: AG München, Urt. v. 23.01.2023 - 132 C 12148/22(aus: Ausgabe 06/2023)
- Negativzinsen: Verwahrentgelte für Einlagen auf Girokonten sind rechtmäßig
Das Thema Negativzinsen sorgt sowohl bei Banken als auch bei Anlegern für Aufregung. Ob von Banken neben Kontoführungsgebühren weitere Entgelte für die reine Verwahrung des Angesparten erhoben werden dürfen, musste das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) beantworten.
Eine Bank führte seit April 2020 für Girokonten neben einer monatlichen Kontoführungsgebühr ein sogenanntes Verwahrentgelt ein, was sie durch Preisaushang in ihren Geschäftsräumen den Kunden mitgeteilt hat. Im Fall der Neuanlage/Neuvereinbarung sollten die Kunden für Einlagen von über 10.000 EUR somit ein Entgelt in Höhe von 0,5 % pro Jahr zahlen. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hielt dies für rechtswidrig und klagte dagegen - ohne Erfolg.
Die Bank durfte laut OLG bei Neuanlagen auf Girokonten neben einer monatlichen Kontoführungsgebühr durchaus ein Verwahrentgelt von ihren Kunden verlangen. Die sogenannten Negativzinsen bei Girokonten können also rechtmäßig sein. Bei dem Entgelt für die Verwahrung handelt es sich um ein Entgelt für eine Hauptleistung und nicht um ein solches für eine bloße Nebenleistung zur Erbringung von Zahlungsdienstleistungen. Auch eine daneben berechnete Kontoführungsgebühr steht dem also nicht entgegen.
Hinweis: Sogenannte Strafzinsen auf Girokonten können - wenn die Bank alles richtig macht - rechtmäßig sein. Es kommt (wie immer!) auf den Einzelfall an. Wegen der Bedeutung der Sache wurde die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.
Quelle: OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.03.2023 - I-20 U 16/22(aus: Ausgabe 06/2023)
- Sperrung des Facebookkontos: Eilverfahren verhindert Kontolöschung, beschleunigt aber nicht die Freischaltung
Ob man wirklich gehackt wurde oder eher selbstverschuldet einer falschen E-Mail aufgesessen ist? Egal, denn ein falscher Klick und das Social-Media-Konto ist schnell gesperrt - für viele Menschen ein Drama. Was für die meisten unter ihnen den Draht zur Welt bedeutet, ist für andere zudem auch eine Frage der beruflichen Existenz. Was gegen eine solche Sperre zu tun ist und was leider nicht, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).
Eine Frau hatte ein Facebookkonto, das von Facebook gesperrt und deaktiviert wurde. Grund dafür sei gewesen, dass die sogenannten Standards der Facebookgemeinschaft nicht eingehalten worden seien. Die Frau behauptete jedoch, ihr Konto sei "gehackt" worden, und beantragte daraufhin eine einstweilige Verfügung. Facebook sollte verpflichtet werden, das Konto wiederherzustellen und ihr die Nutzung wieder zu ermöglichen. Außerdem sollte Facebook verboten werden, das Konto unwiederbringlich zu löschen. Das erstinstanzliche Landgericht untersagte Facebook, das Konto unwiederbringlich zu löschen. Eine Nutzungsmöglichkeit gewährte es der Frau jedoch nicht. Dagegen zog die Frau vor das OLG.
Das OLG half ihr aber auch nicht weiter. Wurde ein privat genutztes Facebookkonto aus Sicherheitsgründen gesperrt, hat der Nutzer im Eilverfahren keinen Anspruch auf Freischaltung. Das gilt jedenfalls dann, wenn Facebook bereits die unwiederbringliche Kontolöschung untersagt wurde. Dass der Nutzer vorübergehend bis zum Abschluss eines etwaigen Hauptverfahrens seine privaten Kontakte über Facebook nicht pflegen kann, ist hinzunehmen.
Hinweis: Viele Menschen sind auf Facebookkonten angewiesen, da sie diese beruflich nutzen. Schnell ist zu erkennen, dass diese Fälle nur durch einen Spezialisten gelöst werden können - im Zweifel durch einen Rechtsanwalt.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 27.03.2023 - 17 W 8/23(aus: Ausgabe 06/2023)
- Vertraglich geschuldete Leistung: BGH bejaht Ersatzanspruch von Bonusmeilen bei Reiserücktrittskostenversicherung
Eine Versicherung über eine Reiserücktrittskostenerstattung kann eine sehr sinnvolle Sache sein. Ob man als Reisender darüber auch eingesetzte, aber eben nicht in Anspruch genommene Bonusmeilen erstattet bekommen kann, war eine rechtlich interessante Frage, die final erst vom Bundesgerichtshof (BGH) beantwortet werden konnte.
Ein Mann machte als mitversicherte Person Ansprüche aus einer Reiserücktrittskostenversicherung geltend. Der Reiseschutzbrief umfasste unter anderem eine "Reiserücktrittskostenversicherung für die Absicherung eines Reisepreises von 3.000 EUR". Dann buchte der Mann bei einer Fluggesellschaft den Hin- und Rückflug von Deutschland in die USA. Er bezahlte mit Bonusmeilen aus einem von der Fluggesellschaft angebotenen Bonusprogramm. Aufgrund einer Erkrankung musste er dann jedoch die Flugreise stornieren. Die eingesetzten Bonusmeilen wurden ihm jedoch von der Fluggesellschaft entsprechend den vereinbarten Bedingungen nicht erstattet. Daher verlangte er nun von dem Versicherungsunternehmen eine Entschädigung für die eingesetzten Bonusmeilen bis zur versicherungsvertraglich vereinbarten Haftungshöchstsumme von 3.000 EUR. Und die erhielt er auch.
Denn die vom Versicherer im Versicherungsfall zu leistende Entschädigung für die einem Reiseunternehmen vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten umfasst auch den Ersatz für Bonusmeilen. Eine Beschränkung auf Geldzahlungen hat der BGH nicht angenommen.
Hinweis: Auch im Reiserecht ist eben nicht jeder Fall wie der andere. Helfen kann in jedem Fall der Rechtsanwalt des Vertrauens.
Quelle: BGH, Urt. v. 01.03.2023 - IV ZR 112/22(aus: Ausgabe 06/2023)